Die Auen Niederösterreichs

(c) Werner Lazowski
Niederösterreich wird gerne als Kernland bezeichnet. Als das klassische „Land am Strome“ bildet es tatsächlich einen Schnittpunkt mitteleuropäischer Naturräume aus. Dabei berührt und durchfließt die Donau dieselben und bildet auf dem längsten Teil ihrer Strecke durch Niederösterreich mehr oder weniger breite Aulandschaften aus. Erwähnt seien nur die Donau-Auen im Machland, im Tullnerfeld und jene im Nationalpark zwischen Wien und der Marchmündung. Selbst in der Wachau umgibt sie sich stellenweise mit Auwäldern und Nebenarmen.

Zugegeben, eine solche Beschreibung reflektiert auf eine ursprüngliche Situation, welche den heutigen, technisch überprägten und intensiv genutzten Landschaftsräumen nicht mehr ganz entspricht. Vor allem Auen, als natürliche Kontakt- und Übergangszonen von Land- und Gewässerökosystemen, erscheinen ökologisch verändert und räumlich stark eingeengt bzw. fragmentiert. Einige der eingangs erwähnten Naturräume Niederösterreichs weisen allerdings einen deutlichen Wasserbezug auf. Wasser bildet hier eine Ressource sowie einen ökologischen Einflussfaktor, letzterer konstituiert und erhält auch bestimmte Lebensräume. Wird dieser verändert, verändern sich in der Folge die beeinflussten Biotope und Ökosysteme. Genannt seien etwa die Hochmoore der oberen, montanen Einzugsgebiete sowie die Fluss- und weitgehend natürlichen Bachsysteme des Waldviertels, die Flüsse des Alpenvorlandes oder jene des Südlichen Wiener Beckens, welche in der „Feuchten Ebene“ stark vom Grundwasser beeinflusst sind, in den pannonischen Niederungen früher ein weit verbreiteter Standortfaktor von Feuchtwiesen und Niedermooren. Für den alpinen Raum sind wiederum die Wienerwaldbäche mit ihren teilweise stark grundfeuchten Erlenauen oder manche naturnahe, schotterigen Gebirgsauen der Voralpen zu erwähnen (z. B. Ois, Schwarza, Tormäuer). Abschließend sei nochmals der Blick auf die Sonnenseite Niederösterreichs gerichtet, wo March und Thaya Tiefland und Hügelland verbinden und von breiten, stark von Grund- und Hochwässern beeinflussten Aulandschaften begleitet werden. Beide Flüsse bilden hier nicht nur die Landes- und Staatsgrenze, sondern auch ihren Unterlauf (Potamal) aus.



Die Auen der Fließgewässer unterliegen dem Wechsel regelmäßig hoher und niedriger Abflüsse. Vom Abfluss abhängig sind auch die Dynamik der Wasserstände sowie der gestaltende Prozess von Erosion, Transport und Ablagerung der Bettsedimente und Schwebstoffe. Am natürlichen Fließgewässer prägen ökologische Prozesse nicht nur die Lauf- und Gerinneform, inklusive der Uferzonen, sondern auch alle wasserbeeinflussten Standorte und Biotope im Auen-Ökosystem. Hochwässer etwa, überfluten die Ufer und Weichen Auen in der Regel jährlich und die daran anschließenden Austandorte auch mehr oder weniger regelmäßig. Dabei setzt die Durchströmung von Nebenarmen und Flutrinnen ein, sichtbarer Ausdruck eines natürlichen Wechselspiels und einer engen ökologischen Verbindung (Konnektivität). Auen sind demnach nicht nur wasserabhängige Ökosysteme, sondern geradezu Bestandteil dynamischer Grund- und Oberflächenwasserkörper, an Fließgewässern aber auch an Seen oder in grundwasserreichen Niederungen, in denen das Grundwasser regelmäßig austritt und dabei das Gelände bzw. bestimmte Biotope überflutet.

Zu dieser allgemeinen Charakteristik kommt die spezifische Lage der Auenobjekte im Naturraum  bzw. im jeweiligen Flusseinzugsgebiet. Geologie und Sedimente, Höhenlage und Klima sind in diesem Zusammenhang entscheidende Wirkfaktoren der Lebensräume. In der heutigen Kultur- und „Industrielandschaft“  erscheinen, wie bereits erwähnt, die Lebensräume der Auen und wasserabhängigen Ökosysteme jedoch weitgehend verändert. Die nachhaltigsten Veränderungen begannen historisch mit den großen bzw. durchgängigen Regulierungen der Fließgewässer sowie mit den Meliorationen der landwirtschaftlichen Produktionsflächen und des Landschaftswasserhaushaltes (Drainagierungen etc.).

So wurde im Bericht nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie zum Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten in Österreich speziell für die Süßwasserlebensräume (z. B. weitgehende Bestandesverluste von Flüssen mit Schlammbänken und alpinen Flüssen mit Ufergehölzen von Salix eleagnos bzw. Aussterben der Deutschen Tamariske an alpinen Flüssen in Niederösterreich; generell kalkreiche Niedermoore) sowie für Hartholzauen und (illyrische) Hainbuchenauen, Salzwiesen, Pfeifengras- und Brenndoldenwiesen sowie magere Flachlandwiesen ein ungünstig-schlechter Erhaltungszustand mit stark negativen Entwicklungstrends festgestellt. Die an vielen Auobjekten festgestellte Trennung der Grund- und Oberflächenwasserkörper von den Aulebensräumen z. B. durch die Eintiefung, Eindämmung oder den Aufstau des Fließgewässers wurde in diesem Zusammenhang auch angeführt.

Diese Einschätzungen gelten insbesondere für die kontinentale biogeografische Region, der Niederösterreich überwiegend angehört. Im Vergleich zur alpinen biogeografischen Region ist diese überdies mit weniger naturnahen Lebensraumtypen ausgestattet. Die angesprochenen Verschlechterungen im Erhaltungszustand der Lebensräume sowie im Zustand der Ökosysteme scheinen sich hier insbesondere auf die Tal- und Flachlandschaften zu konzentrieren (z. B. durch Urbanisierung, Siedlungs- und Infrastrukturausbau, Ausbau der Energiesysteme).

Dies alles dauert an und wird in manchen Bereichen auch immer effizienter. Hinzu kommt eine beinahe eskalierende Flächen- und Rauminanspruchnahme (siehe Natur und Land, Heft 4/2015; demnach stieg die Flächeninanspruchnahme zuletzt um 4,2 %, bei einem Gesamtausmaß von 20,1 ha pro Tag). Es ist letztlich ein Verlust an „Weitläufigkeit“, d. h. Durchgängigkeit im landschaftlichen Ökosystem und von „Freiräumen“, auch für uns Menschen.

Nach dem aktuellen Stand des österreichischen Aueninventars nehmen die naturschutzfachlich, im geografischen Informationssystem abgegrenzten Auen in Niederösterreich 47.505,9 ha ein. Diese Zahl verteilt sich zurzeit auf 144 Auenobjekte in unterschiedlichen Größenklassen, allerdings mit einer Mindestgröße von 3 ha. Naturräumlich liegt der Schwerpunkt der niederösterreichischen Auen, allen voran die großen Flussauen an Donau, March und Thaya, im pannonischen Flach- und Hügelland. Fast 2/3 aller Auenobjekte sind hier mit einer Gesamtfläche von 38.228 ha vertreten, das sind über 80 %. Der zweit wichtigste Auen-Naturraum ist das Alpenvorland, in dem fast 12 % der Auenflächen Niederösterreichs, etwa an den Flüssen Ybbs, Erlauf, Url, Melk, Mank, Pielach u. a.  liegen. Im Waldviertel wurden über 30 Auenobjekte festgestellt, welche wiederum mehr als 5 % der niederösterreichischen Auenfläche abdecken. Nur etwa mehr als 1 % der Auen Niederösterreichs liegen an Wienerwaldbächen und an den Fluss-Oberläufen der Kalkvoralpen.

Aufgeteilt auf die Höhenstufen befinden sich 96 % der Auenfläche in der collin-planaren Stufe des Hügellandes und der ebenen Terrassenlandschaften, zwischen 135 und 359 m Seehöhe, über 600 ha (1 %) liegen in der Submontanstufe und immerhin etwa 1.370 ha (3 %) im untermontanen Höhenbereich der Bergstufe zwischen 451 und 897 m Seehöhe. Obermontane und subalpine Gebirgsauen (Alluvionen und Schwemmebenen) in über 900 m Seehöhe gibt es, im Gegensatz zu den Zentralalpen, in Niederösterreich nicht.

Niederösterreich ist somit ein bedeutendes Kerngebiet von Aulandschaften der Flussebenen, die an Donau, March, Thaya und Leitha in entsprechende Naturräume Ungarns und Südmährens bzw. der Slowakei hineinreichen. Bemerkenswert ist der landesweite Anteil grundwasserbeeinflusster Auen der Niederungen (Feuchte Ebene), vormals auch in Tälern des pannonischen Hügellandes (Weinviertler „Sulz“) bzw. wie schon erwähnt, an den Wienerwaldbächen.

Für jedes der Auenobjekte wurde, in Anlehnung an die Biotoptypologie des Umweltbundesamtes, ein besonders charakterisierender Lebensraumtyp ausgewählt. Die Zuordnung erfolgte, je nach Kenntnisgrad, in Form rangloser Einheiten des jeweiligen Lebensraumtyps, d. h. entweder als generelle Kategorie (z. B. Hartholzauwald) oder als bestimmter Biotoptyp (z. B. Ahorn-Eschenau). Bezogen auf die Gesamtheit der Auen Niederösterreichs ergibt sich die beigefügte Kreisdarstellung.


Im „Lebensraumkreis“ der Auen Niederösterreichs sind demnach für die Fließgewässer mäandrierende Hügellandbäche und -flüsse sowie Schotter-und Sandbänke mit Pioniervegetation besonders charakteristisch, insbesondere für kleinere Auen in guter ökologischer Verbindung zu einem morphologisch nicht weiter beeinträchtigten Fließgewässer.

Im Grünland treten verschiedene Ausbildungen von Wiesen bzw. auch Brachen feuchter Standorte hervor (z. B. Waldviertel, March-Thaya-Auen), wobei frischere und trockenere Wiesenausbildungen (z. B. Donau-Auen) grundsätzlich noch zu erwähnen sind.

Für die Hartholzauen sind die drei Biotoptypen Ahorn-Eschenau, Eichen-Ulmen-Eschen-Auwald und der pannonische Quirl-Eschenauwald für Niederösterreich charakteristisch. Bei den meisten Objekten bedarf es in dieser Hinsicht aber weiterer Spezifizierungen, auch gegenüber dem Vorkommen von "Hainbuchenauen" der oberen Hartholzstufe.

Ähnliches gilt für die Weichholzauen, doch zeigt sich der Rückgang der ehemals fluss- bzw. flusslandschaftsprägenden Weidenauen besonders deutlich. Von diesen sind vor allem die Silberweidenwälder der größeren Flüsse im Flachland zu nennen, welche als Waldgesellschaft nur mehr im Nationalpark Donau-Auen und in den March-Thaya-Auen hervortreten. Weitgehend zurückgedrängt wurden auch die Lavendelweiden-Gebüsche der Alpen- und Alpenvorlandsflüsse. Bemerkenswert sind deren naturnahe Vorkommen an der Schwarza im Steinfeld, welche hier zudem natürliche, torrente Versickerungsabschnitte bildet. Ersatzgesellschaften der Weichen Au sind etwa weichholzdominierte Ufergehölzstreifen an kleineren Flüssen und größeren Bächen der Kulturlandschaft. Sie wurden nur ausnahmsweise in das Aueninventar übernommen.

Als FFH-Schutzgüter entspricht hier der relativ breit gefasste, prioritäre Lebensraumtyp 91E0 mit eschen- und erlenreichen Auwäldern (inklusive Grauerlen-Auen, Silberpappel-Auwäldern, Schwarzerlen-Eschenauen) und den Weidenwäldern an collin-planaren und submontanen Fließgewässern. Weiters ist hier der Lebensraumtyp 3240 mit den montanen Uferweidengebüschen (insbesondere Lavendelweidenauen) zu nennen.

Geringer wahrgenommen wurden etwa die Schwarzerlen-Eschenauen und auch die Bruchwälder. Erstere sind eigentlich keine typischen Weichen Auen sondern vielmehr Sondergesellschaften grundwasserbeeinflusster Standorte, welche in Niederösterreich ursprünglich wohl weiter verbreitet waren.

Nadelbaumreiche Auwälder sind in den dafür in Frage kommenden Naturräumen der Voralpen oder des westlichen Waldviertels nur in Ansätzen ausgebildet. Auf trockeneren und schotterigen Standorten scheint die Rotföhre (Pinus sylvestris) früher ebenfalls weiter verbreitet gewesen zu sein. In den Forstgesellschaften wiederum sind vor allem Hybridpappelforste vertreten, welche die Donau-Auen in größeren Bereichen dominieren.

Von den 144 Auenobjekten in Niederösterreich sind etwa 75% von Flächenschutzbestimmungen nach dem Naturschutzgesetz, insbesondere als Natura 2000-Gebiete (Europaschutzgebiete) betroffen.


Es würde hier zu weit führen die, trotz der rechtlichen Festlegungen in der Landschaft und der verschiedenen auf die Umweltressourcen (z. B. Boden, Wasser, Raum) bezogenen Schutzbestimmungen, ablaufenden negativen Trends im Erhaltungszustand, der Biodiversität und des Flächenverbrauchs zu analysieren. Die Ursachen sollten bekannt sein, praktisch sind sie aber vielen noch immer nicht bewusst. Fachlicher Anspruch, Planung und Praxis liegen zum Teil sehr weit auseinander. Ökologisch-planerische Gesamtabstimmungen (Raumplanung!) sowie eine gleichberechtigte ökologische Projektplanung sind nicht ansatzweise Realität. In der Praxis der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft ist Ökologie, respektive der Schutz der Natur, höchstens ein Teilaspekt, aber keine integrierende bzw. innovative Perspektive. Noch immer dominieren, auch im Auwald von Natura 2000-Gebieten, Monokulturen bzw. strukturarme Forste und – flächiger Kahlschlag.

Es genügt nicht nur die Durchgängigkeit der Fließgewässer für Fische zu verbessern. Es braucht eine verbesserte, abgestimmte Durchgängigkeit des Wassers und seinen Rückhalt in der Landschaft. Einzugsgebietsbezogene Planungen erfordern eben auch eine landschaftsökologische Perspektive. In diesem Sinne sind im angestrebten „Gewässerentwicklungs- und Risikomanagement“ Hochwässer auch als ökologischer Prozess zu verstehen, sowohl in ihrer Entstehung als auch in ihren Wechselwirkungen im gesamten (potenziellen) Abflussbereich. Die Morphologie der Fließgewässer, ihres Umlandes sowie die aktuelle bzw. ehemalige Ausdehnung von Auen und Retentionsräumen erlangen dabei eine besondere Bedeutung.

Am 29. Mai 2015 wurde die „Auenstrategie für Österreich 2020+“ bei der LandesnaturschutzreferentInnen-Konferenz beschlossen. Im Rahmen der Auenstrategie wurde der „Auendialog“ mit Vertretern der Bundes- und Landesverwaltungen, Grundbesitzern und Nutzern sowie anderen Stakeholdern begonnen. Sektorenübergreifende Ansätze zur Weiterentwicklung und vor allem Umsetzung der Strategie sollen in diesem Rahmen besprochen und realisierte Projekte (Best practice) vorgestellt werden. Vieles liegt noch am Anfang, doch liegen die Chancen, wie kaum sonst wo, hier im Detail bzw. in konkreten Projektrahmen und Aufgabenstellungen. Guter Wille und ein langer Atem sind jedenfalls gefragt.

Der Artikel wurde in gekürzter Form in Naturschutz bunt (2/2016), der Zeitschrift des niederösterreichischen Naturschutzbundes, veröffentlicht.